Intro
Die Blätter fallen. Es wird kälter und die Zeit wird auf unbestimmt Zeit umgestellt. Es ist Herbst geworden und ich sehne mich nach Italien, dem Geschmack des Südens, nach Gerichten, die Italien zu seiner Essenz verdichten und die Erinnerungen an einen ewigen Sommer wachhalten. Einer dieser Orte, an dem ich diese andere Welt betreten kann, ist die Cantinetta Antinori in der Wiener Jasomirgottstraße, gleich neben dem Stephansdom, eine Botschaft der Toskana, seit 20 Jahren Fixstern der Italianità in Wien.
Cantinetta Antinori
Ich mache mich auf in den ersten Bezirk, klar mein Ziel vor Augen und offen für Überraschungen aus der Küche, denn die Cantinetta Antinori ist nicht nur in Bezug auf das Essen ein Lokal bester florentinischer Prägung, vielmehr versetzt mich schon das Interieur in wohlige Schwingungen. Das dunkle Holz der mächtigen Bar gibt Sicherheit, offen und transparent das Ambiente mit Gemälden und Spiegeln. Das Um und Auf eines italienischen Restaurants ist aber ohne Zweifel der Umgang mit dem Gast, der stets in vorzüglicher Freundlichkeit begrüßt wird, hier auch gerne mit Handschlag und einem „Ciao Christoph“ vom weiß livrierten Barkeeper und Luca, der umsichtig als Padrone die Geschäfte führt. Auch wenn ich schon Monate nicht mehr in der Cantinetta Antinori war, spüre ich die Freude, mich in die Welt des guten Geschmacks einzuführen.
Die Cantinetta ist gut besucht, Luca führt mich in den hinteren Teil das Lokals, in den mehr privaten, wo man ungestört seiner Leidenschaft frönen kann. Ich beginne die Karte zu studieren und gönne mir nach kurzer Debatte und klarer Empfehlung des Meisters, als ob er kommende Ereignisse vorausahnen würde, einen Cervaro della Sala 2016 aus dem Haus Antinori. Der Wein ist gut gekühlt und trotzdem warm und dicht, als ob er die Sonne Umbriens in sich aufgesogen hätte, eine Cuvee aus Chardonnay und Grechetto, fünf Monate ausgebaut im Barrique.
Ich bin aber nicht alleine, denn kurze Zeit später betritt ein mir bekanntes Gesicht das Lokal, Luca Miliffi, das Trüffelkind, unschwer an seinem jahrzehntealten Pilotenkoffer zu erkennen. Und das Trüffelkind scheint in geheimer Mission zu reisen, denn in der Abgeschiedenheit des Chambre séparée öffnet Luca seinen geheimnisvollen Pilotenkoffer, aus dem sich der intensive Duft weißen Trüffels ausbreiten, den Raum erfüllt, meine Nase umschmeichelt und meine Menüwahl manifestiert. Der Padrone muss wohl gewusst haben, welch konspirativer Sitzung ich teilhaben würde, als er mir den Cervaro della Sala fast imperativ empfahl, ein Vorspiel zum Höhepunkt, um mich gefügig zu machen, bereit für den Hauptakt.
Das Trüffelkind
Im Pilotenkoffer befindet sich ein blau-weiß gemustertes Tuch, das Luca aus dem Leder hebt und auf dem Tisch ausbreitet. Der gordische Konten löst sich und es breiten sich dutzende Trüffel aus, so viele, wie ich sie noch nie in meinem Leben gesehen habe. Weißer Trüffel aus dem Piemont und Piobbico, einer kleinen Gemeinde aus der Provinz Pesaro-Urbino. Luca Miliffi ist dort geboren und aufgewachsen, in den Bergen im Dreieck zwischen San Marino, Arezzo und Ancona, einer Gemeinde mit 2000 Einwohnern.
Ein weiterer Darsteller betritt die Szene, denn Trüffel sind Chefsache, und die Auswahl obliegt dem Capocuoco, dem Küchenchef, und nicht dem Padrone. Klare Fronten bei diesem Deal, dem ich als Kronzeuge beiwohne. Das Trüffelkind zaubert eine Waage aus dem Pilotenkoffer, und beginnt. mit den Capocuoco zu begutachten, zu riechen, zu beurteilen und zu wiegen. Bald liegen eine Handvoll Trüffel auf der Waage, und der Deal ist für diesen Tag besiegelt. Denn das Trüffelgeschäft ist ein Tagesgeschäft, wie ich lerne. Eine Kette von geheimnisvollen Ereignissen, die jeweils an einem Tag stattfinden und sich in der Saison des weißen Trüffels, die vom letzten Sonntag im September bis zum 31. Dezember dauert, täglich wiederholt.
Der weiße Trüffel
Ich locke das Trüffelkind mit einem Glas Cervaro della Sala an meinen Tisch, einen Mann, der statt in den Zaubertrank gefallen, mit allen Geheimnissen des Trüffels groß geworden ist. Ich will mehr erfahren, über diesen Pilz, der in der Erde des Waldes gedeiht. Und Luca Miliffi beginnt zu erzählen, von seiner Kindheit in Piobbico, seinem Vater, einem Piloten, der ihm zu seinem 18ten Geburtstag den Pilotenkoffer geschenkt hat, als Zeichen dafür, dass er reif wäre für die Übernahme des Trüffelgeschäfts. Von den Familien der Trüffelsucher, die sich mit den Hunden aufmachen in die Wälder, unter denen der Trüffel wächst.
Er erzählt von den Familien, die nach der Suche die Trüffel am Küchentisch sortieren, von den Verhandlungen seiner 5 Trüffelkäufer, die an die Türen klopfen, den weißen Trüffel begutachten und kaufen, in seine Firma bringen, wo er selektiert, qualifiziert und sofort auf den Weg gebracht wird, zum Trüffelkind, das jeden Tag von neuem seine Kunden besucht, den Pilotenkoffer öffnet, wiegt, begutachtet und verhandelt. Luca kennt sie alle persönlich, seine kleine Trüffelfamilie, die Sucher, die Familien und seine verlängerten Arme, seine Käufer. Luca kennt die Orte woher sein Trüffel kommt und er hat eine intuitive Verbindung zum Produkt.
Er erzählt aber auch von Plagiaten, minderwertigem Trüffel, Fakes, die den Konsumenten als weißer Trüffel untergejubelt wird, Billigimporten aus fernen Ländern, Trüffel mit der Konsistenz von Holz und dem Geschmack von Kartoffeln. Aber Luca Miliffi, das Trüffelkind, ist ein Qualitätsfetischist, der König des Trüffels und er hat Gegenmaßnahmen ergriffen, denn er hat in Abstimmung mit den italienischen Gesetzen ein Qualitätszertifikat ins Leben gerufen, das die Qualität und Herkunft des Trüffels bescheinigt und er hat seinen Namen darunter gesetzt. Luca Miliffi steht für seinen Trüffel gerade, den er ja auch selber mit seiner kleinen konspirativen Gruppe gesucht, qualifiziert und verkauft hat.
Die Küche
Nach so viel Wissen um den Trüffel rufe ich nach Praxis und der Padrone fragt in der Küche an, ob ich einen Besuch abstatten darf. Der Capocuoco genehmigt und ich darf in die heiligen Hallen der Cantinetta Antinori. Die Besatzung ist ausnahmslos italienisch und wir diskutieren gestikulierend die Menüabfolge. Der Koch entscheidet sich für Fettuccine tartufate, die er dann auch stolz vor mir zubereitet. Die Pasta wird selbstredend täglich frisch zubereitet, die Butter kommt natürlich von speziellen italienischen Kühen und der Trüffel vom Trüffelkind.
Über die Fettuccine kommt dann noch reichlich frisch gehobelter Trüffel und ich gleite in tiefe Glückseligkeit. So einfach das Gericht, so himmlisch der Geschmack, der Duft des Trüffels, um mich fragende Gesichter, wie es mir denn schmecken würde. Jeder der Anwesenden ist Teil des Gerichts, der Koch, der Padrone, das Trüffelkind. Und ich Wiener mittendrin.
Als zweiten Gang serviert man mir ein hauchzartes Carpaccio di manzo tartufato, das Rinderfilet so dünn, dass man fast durchsehen kann, darüber gehobelt…weißer Trüffel. Fragende Blicke und ein erlösendes „herrlich“ von meiner Seite. Alle sind zufrieden, aber der Ehrgeiz der Mannschaft ist entbrannt, eines muss ich noch kosten, die Eier von Paolo Parisi. So kommt zu guter Letzt noch ein Uovo affogato di Paolo Parisi tartufato, das Ei wie eine zarte Wolke auf knackigem Spinat, darüber, erraten, frischer weißer Trüffel.
So endet mein Besuch in der Cantinetta Antinori mit glücklichen Gesichtern des Padrone Luca, des Capocuoco und des Trüffelkinds, glücklich ob der gelungenen Gerichte und eines zufriedenen Gastes, der als getrüffelter Italiener das Lokal wieder verlässt.
*Wer Kontakt zum Trüffelkind Luca Miliffi sucht, meldet sich bei Luca unter +43-676-9108047 oder info@cibusitaly.it
Cantinetta Antinori
Jasomirgottstraße 3-5
1010 Wien
täglich von 11:30-24:00 Uhr
Reservierungen unter +4315337722 oder office@cantinetta-antinori.at