Selten haben wir so sehnlich auf ein Bike gewartet. Nicht, dass wir die California nicht jederzeit ans Meer oder die V7 nach Bosnien treiben würden. Doch erstere verlangt nach einem erfahrenen Kapitän, dem sie dafür reichlich Platz bietet, die kleine Schwester bietet zwar ungemeine Agilität, aber Menschen meines Appetits nicht unbedingt viel Platz.
Seit dem Rückzug der diversen Quattrovalvole Modelle von Breva bis Norge aus den Verkaufsräumen klaffte eine Lücke in Guzzis Programm. Besonders schmerzlich empfand ich persönlich das Fehlen der Stelvio, einer Alleskönnerin mit Charakter. Ob was Besseres nachkommen würde? Zweifel waren angebracht, Kostendruck und Paragrafenknechte machen den Job der Ingenieri am Como See nicht gerade einfach. Und dass sie Moto Guzzi V85 TT getauft worden war, ließ wenig Hoffnung auf ausreichend Leistung aufkommen, klang nach Positionierung zwischen V7 und V9, die alte Stelvio war quasi eine V11, da floss reichlich Potenza durch die Kardanwelle.
Klar haben sich die Ankündigungen der Marketingabteilung nur so überschlagen vor Versprechungen, deutlich stärker wäre er, der neue Motor, dazu vibrationsärmer und überhaupt ganz anders. Interessanterweise steht dann in den technischen Daten genau die gleiche Zahl bei der Hubraumangabe wie in der Spalte der V9, auch sah das Bike auf den ersten Fotos nicht wirklich besonders groß aus, meine Neugier hat das alles ins unermessliche getrieben. Würde ich draufpassen? Und ordnungsgemäß vorankommen?
Gründonnerstag endlich der Anruf, „sie ist da“, am Karfreitag stand ich neben ihr auf Fabers Parkplatz. Und siehe da: in Natura macht die Guzzi gleich einen ausgesprochen erwachsenen Eindruck! Wie sie da so neben ihren kleinen Schwestern stand, der V7 und, ja genau, der V9, wirkte sie gleich mal ausgesprochen überzeugend. Noch erfreulicher die sofortige Sitzprobe, Sattel erstens bequem, zweitens schmal genug im Schritt um sicher zu stehen, aber drittens, doch hoch genug, dass der Kniewinkel Langstreckentauglichkeit verspricht.
Gleich noch eine positive Überraschung: zwischen den Knien und dem Zylinder ist definitiv genug Abstand, sogar links, wo das Pleuel bauartgemäß 3 Zentimeter hinter dem rechten arbeitet. Und zwar schön gleichmäßig sofort nach dem Starten, und weil unsere Moto Guzzi V85 TT weniger Kilometer am Buckel als unsereiner Finger an einer Hand hat, lassen wir sie erst mal warm laufen, gibt auch gleich Gelegenheit den wunderbaren Sound aus dem eleganten Endtopf zu genießen. Ist heutzutage ja nicht immer so, manch Konkurrent rasselt zugestopft vor sich hin, während die Guzzi sich in erfreulich südländischem Ton bereit zum Dienst meldet.
Los geht´s! Ich könnte – und sollte natürlich – den Kupplungshebel auf die Handgröße einstellen, mach ich aber nicht, die Vorfreude siegt. Ist auch nicht unbedingt notwendig, das Drehmoment des V2 ist auch in der V85 jederzeit ausreichend vorhanden, anfahren also auch beim ersten Mal keine Hexerei. Auch wenn, laut Datenblatt, das Drehmoment sein Maximum von 80Nm erst bei 5000 Umdrehungen und damit 2000 später als die 62Nm in der V9 erreicht, so spürt man vom ersten Meter, dass im neuen Motor jederzeit mehr davon vorhanden ist.
Gleichmäßig schiebt die Maschine an, schön dosierbar, das Einfädeln in den Fließverkehr klappt einwandfrei. Auch das Gleichgewicht hält man, ohne darauf einen Gedanken verschwenden zu müssen, von einem Kippmoment, wie es bei längs zur Fahrtrichtung rotierender Kurbelwelle zu erwarten wäre, keine Spur. Klack, klack, klack, die Gänge flutschen rein, ohne sinnlos hochzudrehen und den Ruf des Motorradfahrers unnötig durch unbotmäßige Lärmerregung zu beschädigen, schwimmt man im Nu in der Kolonne mit.
Zwangsläufig die erste Etappe in der Stadt, Pflichtprogramm quasi, aber gerade bei einem Motorrad, das von seiner Grundauslegung zum Reisen prädestiniert ist, zweifelsohne eine wichtige Disziplin. Im Laufe der Jahre, vieler Jahre, und hunderttausenden Kilometern auf zwei Rädern, hat sich für mich persönlich die große Enduro als ideal erwiesen.
Auf langen Reisen ist die aufrechte Sitzposition die einzige, welche erträglich ist, zusammen mit zentral angeordneten Fußrastern ergibt das hervorragende Fahrzeugkontrolle, erst recht wenn es mal kurvig oder unwegsam werden sollte. Wird´s ganz arg, kann man aufstehen, 1000 Kilometer Anreise macht eine Windschutzscheibe komfortabel und ein brauchbarer Gepäckträger macht die Ästhetik auch nicht gleich zum Totalschaden, wie bei einer stylishen Straßenmaschine. Nur mit der Wendigkeit im Stadtverkehr ist´s oft nicht so weit her, großer Tank, hoher Schwerpunkt und eingeschränkter Lenkwinkel stehen dem nur zu oft im Weg.
Und wie schaut´s bei der V85 aus? Völlig anders, darf ich berichten. Vom ersten Meter an fühlt man sich sicher zwischen den dicht drängenden Karossen zwischen Ring und Gürtel, perfekt ausbalanciert schlängelt man sich in Schrittgeschwindigkeit durch den Verkehr, nur um sich, kaum dass sich die Möglichkeit bietet, von der Masse abzusetzen. Geht blitzschnell, „a twist with the wrist“, wie der Brite sagt, kurz am Griff gedreht und die Blechkäfige werden schnell ganz klein in den Rückspiegeln.
Kurzer Zwischenstopp, Reisegepäck holen, ich erlaube mir zwischen den Fahrradständern einzuparken, wär´doch schade um die schöne Farbkombination, Autofahrer können erstaunlich rücksichtslos sein, wenn sie im 7. Bezirk endlich eine Parklücke erspähen. Aber ja, das darf man, sofern die Bügel in der Fahrbahn und nicht am Gehsteig stecken. Und man kann´s auch mit der V85, passt gut hinein, sogar rückwärts, wie sich´s gehört, geht das perfekt, weder die Zylinder noch die Fußraster stehen im Weg, war nicht immer so bei Moto Guzzi.
Also rauf mit dem Weekender auf den Packlträger und ab durch die Mitte! Das geht tatsächlich so schnell wie es klingt, selten einen Gepäckträger erlebt, auf dem sich jede Art von Gegenständen so schnell und sicher befestigen lässt. Da macht man sich auch keine Sorgen, wenn man auf der Autobahnauffahrt das Gas etwas vehementer öffnet und die Beschleunigung den Allerwertesten bestimmt gegen die Wölbung in der Sitzbank drückt. Bei legalem Autobahntempo kommt fast schon Langeweile auf, besser man freut sich am Ausblick auf die schneebedeckten Gipfel der Voralpen.
Nur ein Extra muss ich noch bestellen, als Freund des offenen Jet Helms werde ich wohl demnächst das hohe Windschild ordern. Vorerst aktiviere ich aber erst mal den Tempomat und rolle entspannt dahin, zum Überholen wird das Knopferl ein, zwei Mal nach oben gedrückt, ergibt 2 bis 5 km/h Beschleunigung, Cruisen wie es sein soll.
Auch wenn´s entspannend ist, einfach so dahin zu rollen, zieht es mich nach einer halben Stunde dann doch auf die Bundesstraße, die einem am späten Nachmittag des Karfreitags keiner streitig macht. Spätestens auf den Strengbergen nimmt die Körperspannung zu, endlich Kurven, keiner stört, auch die Exekutive nicht, die wird am Wochenende ohnehin genug Überstunden schreiben dürfen. In Summe wirkt sich das alles positiv auf den Reiseschnitt aus, weniger wegen der möglichen Spitzengeschwindigkeit, es ist diese Selbstverständlichkeit, mit der die Guzzi der vorgegebenen Linie folgt.
Die Enduro typische Sitzhaltung verschafft Überblick, ermöglicht mühelose Fahrzeugkontrolle, die Federung ist straff, dennoch komfortabel. Überraschende Unebenheiten im Scheitelpunkt werden artig geschluckt, da wackelt nichts, sauber zieht die V85 durch den Radius. Hat ein bisschen was von einer Super Motard Maschine, liegt wohl an der Fahrwerksgeometrie und dem kompakten Vorderrad, macht jedenfalls viel Freude. Zwischen den Ortstafeln liegen ausgestorbene Gemeinden, die acht Gasthäuser von Strengberg haben schon mal bessere Zeiten gesehen, trotzdem verringert man gerne die Geschwindigkeit auf gesetzeskonforme 50 km/h, einfach weil sich der Griff in die Scheiben so schön dosieren lässt.
Runterschalten muss man nicht unbedingt, auch im fünften Gang ruckelt nichts, dafür kann man sich nach dem Ortsende auf gleichmäßige Beschleunigung freuen, ab etwa 4000 U/min sogar auf durchaus vehemente. Ist jetzt schon ein paar Jahre her, dass sich die vereinte deutschsprachige Fachpresse auf die 80/80 Formel einigte, die zum Glück genügen sollte. Damit waren PS und NM gemeint, ich war skeptisch, bin aber mittlerweile bekehrt. Und gerade die V85TT ist ein gutes Exempel für den Sinn der Formel, muss nur noch das Gewicht stimmen, mit etwas über 200 Kilo kommt das hin. Ein Äuzerl mehr für die nötige Robustheit geht schon in Ordnung, mal sehen, wie die Guzzi gleich den Waldweg zur Alm, dem Ziel der Reise in den Griff kriegt.
Wenig überraschend geht es dorthin recht steil bergauf, natürlich auf Schotter, enge Kehren sind auch ein paar dabei. Also wird mal der Fahrmodus angepasst, war ich bisher mit „Strada“ unterwegs, switche ich nun auf „Off Road“, „Pioggia“ würde ich gerne später testen, am nächsten Wochenende soll es ohnehin regnen. Beim Einbiegen in den unteren Wald komme ich gleich in den Genuss der leuchtstarken Doppelscheinwerfer, machen die Umstellung von strahlendem Sonnenschein auf Nadelwald in der Dämmerung mehr als erträglich.
Man muss danach ein wenig Schwung holen, normal, damit man die letzte Kuppe oben möglichst elegant schafft, unwillkürlich stehe ich in den Rasten auf, so lassen sich leichte Rutscher leichter abfangen. Und siehe da, der Guzzi gefällt´s, sie trägt das „TT“ in der Typenbezeichnung also völlig zu Recht. Heißt nämlich „tutto terreno“, also dass sie sich auf jeglichem Untergrund wohlfühlt, und offensichtlich ist was dran.
Ist ja nicht immer so, dass die Erwähnung von in Wüstenrennen erfolgreichen Vorfahren auch nur irgendwie Niederschlag in späteren Großserienmotorrädern gefunden hätte. Moto Guzzi versucht´s erst gar nicht, oder nur ganz dezent, schließlich ist man schon 1984 am Start der legendären Rallye Paris Dakar gestanden. Unglaublicher Weise mit einem lachhaft zarten, auf Basis der V50 zusammengebastelten Motorrad, im Laufe der Zeit entstand daraus die 650 Tutto Terreno, später sogar eine 750er, 1986 gab´s gar ein Werksteam und sogar eine Zielankunft.
Seither war´s still um die Motos aus Mandello, die Rallyewelt hat sich weitergedreht, aber mit der Tutto Terreno von 2019 steht zumindest eine interessante Basis für den privaten Abenteurer mit Stil zur Verfügung. Ist nämlich tatsächlich ein Allroundtalent, die Moto Guzzi V85 TT, neben Stadt und Straße lässt sie sich tatsächlich erfreulich leicht abseits ausgefahrener Pfade bewegen. Spricht also eigentlich nichts dagegen, sie schon diesen Sommer bis ans Meer zu reiten, vielleicht, wenn´s keinen stört, sogar bis auf den Strand.
Liegt eigentlich nur noch an uns Fahrern, ob wir´s uns gönnen, vielleicht werde ich zur Scheibe auch gleich die Packtaschen ordern, was ich gehört hab´, ist die Nachfrage groß. Nach der Guzzi selber auch, näher kennenlernen kann man sie übrigens bis Ende Mai bei den Moto Guzzi Eagle Days beim Händler seiner Wahl, schnellentschlossene kriegen sogar einen sexy Helm geschenkt. Ach ja, und auf die Taschen und sonstiges Zubehör gibt es 50% Rabatt! Als ob die Moto Guzzi V85 TT solch Verkaufshilfe nötig hätte.
Habt ihr Lust auf einen Testride mit einer Moto Guzzi, könnt ihr euch ganz einfach über diesen Link Moto Guzzi Testride anmelden. Wir freuen uns auf euch!