Als Wolfgang Salomon 2014 mit seinem Venedig-Erstling „Abseits der Pfade“ in die Bestsellerlisten des Landes vordrang, konnte man nicht ahnen, dass er genau diese Pfade in Bälde verlassen wird, um sich noch direkter dem verborgenden Venedig bzw. der Lagune zu widmen.
Das Venedig des soeben erschienen Buches hat einen ordentlichen Blues, wie man ihn musikalisch wohl nur in den Sümpfen der Südstaaten (damit sind jetzt nicht Apulien, Kalabrien oder Kampanien gemeint!) praktiziert. Obwohl, die Moskitos lernte er auch hier kennen und sumpfartige Lagunenbereiche pflasterten am oberen Adriaende genauso seine manchmal dünn werden Nervenbänke.
Als ausgewiesener Musikfan hat er mit diesem Werk seine erstes Album abgeliefert. Die Stories sind großteils wie Songs aufgebaut, erzählen in guter Songwriter-, scusate, Cantautore-Tradition von Begegnungen, Plätzen voller entleerter Seelen und dem letzlichen Sieg der Natur über das Menschentun. Dabei schlüpft er mal die Rolle des findenwollenden Reporters, mal mutiert er zum mit Salzwasser von allen Seiten gewaschenen Philosophen oder bedient sich journalistisch aufbereitend in nur wenigen Bibliotheken auffindbaren Geschichtsbüchern.
So entstehen Geschichten von wie jene von Enzo, der ihn um eine Zigarette anschnorrt (sich vorsichtshalber gleich drei Glimmstengel aus dem Packerl fischt) und dafür Anekdoten aus seiner Lebensgeschichte offeriert, die sich irgendwo zwischen San Servolo, einem Dorfwirtshaus und elterlichen Analphabeten ansiedeln lässt.
Wolfgang Salomon erweist sich als guter Zuhörer, was nicht zuletzt an seiner Liebe zur Musik liegen könnte. Als Tribute an seine Hörgewohnheiten stellt er jedem seiner 15 Kapitel eine Songzeile voran, die zugleich geschickt gewähltes Intro in die Mikrowelt der folgenden Seiten ist. Fehlt eigentlich eine CD oder eine Download-Liste für den Soundtrack, der das Buch zu einem vollkommenen Film im Drehort Kopf werden lassen könnte.
„Venezia Blu – Blaues Venedig“ ist kein Reiseführer, dafür eine umso bessere Reiselektüre.
Man würde Wolfgang Salomon gerne als Guide durch dieses für den Normaltouristen kaum sicht- oder wahrnehmbare Venedig buchen, was aber wohl einigen Mut erfordern würde. Er weicht dem Blues nicht aus, die starkstromversorgete E-Gitarre bei jedem Aufjaulen eines weinenden Akkords nah an die Flammen italienischer oder vielmehr europäischer Geschichte haltend. Schade, dass Pino Daniele nicht mehr lebt, er wäre der genau richtige Mann aus den Südstaaten (jetzt ist die Rede von Kampanien!) für die Vertonung zwischen den Zeilen. Was aber schon wieder ins Konzept passt, da nichts mehr ist wie es war – oder wahr ist – außer der Stechmüche vulgo Zanzare, die es sich auf der Gänsehaut des Lesers schon einmal bequem macht …
Wolfgang Salomon
Blaues Venedig – Venzia Blu
Eine Reise in die Abgründe der Lagunenstadt
Erschienen im Verlag Uerberreuter
Kaufbar bei:
Im gut sortierten Fachhandel
oder in der Spezerei, seiner gemeinsam mit sein seinem Bruder betriebenen Osteria mitten in 1020 Wien – Widmung und Gschichterln inklusive …
oder online über Thalia