Donnerfisch, extrascharf – Aprilia Tuono 1100 Factory

Neulich waren wir zu Gast beim Motorrad Grand Prix von Österreich am Spielberg, aufmerksame Mipiace-Leser wissen das. Eingeladen hat das Trentino MotoE Team, betrieben wird es von der Mannschaft um Fausto Gresini, die haben aber mehr Pfeile im Köcher, konkret mindestens einen für jede Klasse. In der höchsten, der MotoGP genannten, mit ihren unglaublichen Boden-Boden Raketen, hat sich der Piaggio Konzern die Erfahrung von Gresini gesichert uns lässt dessen Mannschaft als Aprilia Werksteam antreten. Was für MiPiace Grund genug war, einen würdigen fahrbaren Untersatz für die Reise in die Steiermark zu organisieren.

Aprilia Factory

Kommt natürlich nur eine Aprilia in Frage, Piaggio Sportabteilung quasi, Österreich Importeur Ginzinger in Ried hat zufällig eine Tuono Factory übrig, ideal für den älteren Herren mit leichtem Übergewicht, aber starkem Hang zu forcierter Fortbewegung. Wobei die konkrete Maschine mit vorteilhafter Tiroler Zulassung -Details später- gerade erst von der jährlichen, sogenannten „Thunfischausfahrt“ retour gekommen und praktischer Weise noch in Reichweite des öffentlichen Wiener Nahverkehrs jenseits der Donau in Sichtweite der slowakischen Grenze zu übernehmen war.

Ginzinger

Der heurige August scheint sich ja für einen warmen April ausgeben zu wollen, während dem Langstreckenflug an Bord der U6 durchquere ich mehrere Klimazonen inklusive schwerer Gewitterfronten, schlussendlich komme ich doch trocken über die Tangente zurück in den Westen, die Fahrbahnen ist aber noch nass. Interessant, erste Meter auf rutschigem Untergrund, 175 PS gegen feuchten Dieselfilm auf reifem Asphalt, das rechte Handgelenk entwickelt Verantwortungsbewusstsein. Kann nicht schaden, sicher, so notwendig, wie man meinen sollte, ist´s aber auch wieder nicht, da haben sich schon ein paar Elektronikingenieure mehrere Köpfe zerbrochen. Doch auch dazu später mehr.

Aprilia Tuono 1100 Factory

Erst mal dürfen wir einen kurzen Exkurs in Sachen Italienischvokabel einschieben, so lustig der Kosename Thunfisch für die Aprilia Tuono auch klingen mag, erstens stellen sich dem des Italienischen Mächtigen dabei alle Haare auf, zweitens gibt es andere Meeresbewohner, deren Namen vielleicht besser zu einem Motorrad passen. Sicher, der gute Maxa hat da Einprägsames geschaffen, Zonko den Ball brav und dankbar aufgenommen. Aber sorry, wir von Mipiace, dem Zentralorgan italienischer Lebensart, müssen uns einen anderen Fisch suchen, Squalo Martello, der Hammerhai wäre ein brauchbarer Taufpate, schauen Sie ihm nur mal ins Gesicht. Oder wir sprechen gleich vom Donnervogel, dann passt´s überhaupt wie die Faust im Nacken.

Aprilia Tuono 1100 Factory

Apropos: um den Führerschein nicht schon auf der Praterbrücke weggeblitzt zu bekommen, hat sich ihr untertänigster Berichterstatter erst gar keinen Vollvisierhelm aufgesetzt, ein schön offener und wenig windschlüpfriger Jet Helm lässt einen nämlich weit weniger im unklaren, als wenn man hermetisch vom Fahrtwind abgeschirmt wäre.

Aprilia Tuono 1100 Factory

Erfahrungsgemäß regelt der Kinnriemen ab etwa 130 Stundenkilometern die Sauerstoffzufuhr des Piloten ab, wenigstens auf Straßen, deren Bezeichnung mit einem großen „A“ beginnt, sollte man so auf der sicheren Seite der StVO bleiben können. Womit man sich auch gleich das halbe Getriebe sparen könnte, legaler Weise könnte nämlich die Dritte auch locker die Rolle als Overdrive vulgo Schongang spielen, allerdings vermeide ich lieber die fünfstelligen Zahlen am Drehzahlmesser. Noch.

Aprilia Factory

Nicht, dass es mir an Erfahrung fehlen würde, gut 40 Jahre versuche ich mittlerweile auf allen Arten von Zweirädern möglichst flott unterwegs zu sein, auf, wie auch abseits befestigter Pfade. Klappt bislang ganz passabel, auch, nein: gerade mit scheinbar unterlegenen Motorrädern. Die lassen sich oft einfacher bewegen, der Grenzbereich ist weiter, wegen ein Bisserl mehr Gas besichtigt man nicht gleich die Bankette. Und schmälere Reifen mögen zwar nicht so cool aussehen, das fahren machen sie aber einfacher, engerer Radius bei weniger Schräglage sag ich nur. Und doppelt so viel Leistung heißt erst mal nicht gleich doppelt so schnell, früher hieß es eigentlich überhaupt nur doppelt so oft Autsch, Fahrwerke und Reifen haben in den letzten Jahrzehnten deutlich mehr gelernt als Motoren. Dankenswerter Weise.

Aprilia Factory

So sehr mir elektronisch abgeregelte Sportwagen gegen den Geist gehen, sobald sich ein überzüchtetes Kraftfahrzeug durch das Fehlen zweier Räder auszeichnet gewinnen all diese elektronischen Einrichtungen mit ihren grotesken 3-Buchstaben-Bezeichnungen rasch an Attraktivität. Okay, bis man sich ans Gerät gewöhnt hat, aber wie bitte gewöhnt man sich an 175 PS am Hinterrad innerhalb des Wiener Gürtels? Eben! Und dann, nach ein paar Tagen sehnsüchtigen Vorbeischleichens am Fahrradständer, in dem ich die Tuono sicherheitshalber deponiert habe – Anm.: korrekt heissen die Dinger „Abstellanlagen für einspurige Fahrzeuge“, d.h. sofern sie auf der Fahrbahn stehen darf natürlich auch das motorisierte Bike dort abgestellt werden! – ergab sich endlich die Möglichkeit, einen Termin in Gersthof als Ausrede für eine kleine Spritztour zu nutzen. Als die Dame, mit der ich zu tun hatte, am Ende der dienstlichen Pflichterfüllung vorschlug, uns noch ein kleines Abendessen zuzubereiten, entschied ich mich im Interesse besseren Leistungsgewichts und bediente mich einer weiteren Ausrede, „nein danke, ich fahr mal lieber los, es schaut nach Regen aus!“

Aprilia Factory

Ausreden sind bekanntlich nur so gut, wie sie plausibel sind, diese war ausgezeichnet. Dunkle Wolken, Wind, der schon feucht und kühl vom nahen Wetter kündet, doch wer will schon die Zeichen sehen, wenn eine Aprilia wartet, nur ein paar Häuserblöcke von der Höhenstrasse entfernt. Der wirklich unwirtliche Abend hatte die Menschen von den Straßen gefegt, so waren die bösen Blicke rar, als ich mich mit dem Blipper anfreundete. Raufschalten ohne Kupplung tun wir ja schon lange, der Quickshifter war zwar eine Erleichterung für´s Getriebe aber nie wirklich nötig wenn man ein Bisserl Gefühl in der Gashand hatte. Anders sieht die Sache beim Runterschalten aus, da finden sich die zuständigen Zahnradpaare nicht so leicht, die Gefahr von Zahnausfall ist deutlich höher. Der Blipper verhindert das, nimmt die Zündung und/oder Gemisch weg, Problem gebannt, die linke Hand kann sich aufs Festhalten konzentrieren, oder aufs Blinken, wenn´s denn sein muss. Und wie bei den, ach so beliebten Macho-Autos, schießt der kleine Ingenieur einen perfekt berechneten Zwischgasstoss ab, ergibt eine geile Geräuschkulisse, wie man jede Nacht in Ottakring oder auf der Triesterstraße hören kann. Wenn man will.

Aprilia Tuono

Nun, an diesem Abend wollte ich unbedingt, in Neustifft sind sie´s eh gewohnt, da stehen auch ein paar Maseratis und M irgendwas in den Garagen. Erste, zweite, dritte, und wieder retour, nicht mehr als ein Amuse Gueule. Höhenstrasse erst mal auch unbefriedigend,  irgendwer in der Kleingartenanlage Hügelweg muss über hervorragende Kontakte zur Stadtverwaltung verfügen, die ersten Kilometer sind dank haarsträubender Geschwindigkeitsbeschränkung puritanisch Spaßbefreit. Klar, Lärmschutz, g_ttseidank inkonsequent, kaum, dass man endlich hinter der Siedlung hochfährt, steht das heißersehnte Schild, Ende 30. Blip, blip, blip, drei Gänge runter, Gaaaas! Sorry, aber ihr wolltet es so. Die Tuono verbeißt sich scheinbar in die Basaltsteine des Katzenkopfpflasters, Schlupf wird in Sekundenbruchteilen kontrolliert, höchstmögliche Beschleunigung elektronisch sichergestellt. Und zwar völlig unmerklich, kein Eingriff ist zu spüren, den erlaubten Driftwinkel hat man mir, wie auch jenen der Wheelies, voreingestellt, passt wie angegossen.

Aprilia Factory

Wobei die Wheelies warten müssen, wie nicht anders zu erwarten, laden die Dunklen Wolken ihre feuchte Ladung ab, wer die Höhenstrasse kennt, weiss was das bedeutet: minimale Haftung! Und Panik beim Piloten, da wünscht man sich eigentlich eine leichte Enduro und keine Rakete mit 200er Hinterreifen und Leistung satt. Doch wieder weiss die Aprilia selber, was zu tun ist, nach und nach gebe ich übertriebene Zurückhaltung auf, beeindruckend unaufgeregt erreiche ich die Abfahrt nach Grinzing. Selbst bergab kommt kaum Unsicherheit auf, allerdings macht sich in den tiefen Spurrillen, die der 38A in die Fahrbahn gewalkt hat, der dicke Hinterreifen mit leichtem Eigensinn bemerkbar. Da kann selbst Aprilia nichts dagegen unternehmen, breite Gummis sind zwar fein solange die Fahrbahn eben ist, aber gegen Naturgesetze ist man sogar in Italien machtlos.

Man könnte nun natürlich annehmen, dass hier Erfahrungen aus dem Rennsport eingeflossen sind, tatsächlich verhallt es sich aber genau umgekehrt. Wie wir anlässlich unseres Besuch beim Gresini Moto GP Team erfahren haben, hat sich Aprilia Racing nämlich genau jenen Ingenieur für den Rennsport gewünscht, welcher schon in der Serienfertigung für Piaggio bei der Entwicklung der elektronischen Helferlein das Heft in der Hand gehalten hat. Und dort vor mehr als zehn Jahren erstmals ABS und Schlupfregelung entwickelt hat, die uns an der Moto Guzzi Stelvio erstmals von der Sinnhaftigkeit solcher, uns anfangs höchst suspekten Gadgets, überzeugt hat. Das übrigens zu einer Zeit, als uns das ABS an einem Motorrad ab und zu in Kurven ins Gras statt den Scheitelpunkt leitete. Tempi passati, Fortschritt dankend angenommen.

Aprilia Factory

Bei der Implementierung einer verlässlichen Tankanzeige war der kluge Kopf jedoch anscheinend nicht mehr im Team, wenn das Reservelamperl aufleuchtet, heisst´s flott eine Tankstelle finden. Wie schnell man tanken muss ist schwer zu sagen, zwischen 40 und 20 Kilometer könnte die Tuono noch schaffen. Oder sie rollt nach 19 Kilometern mitten im Murtal aus, Gottseidank gibt´s dort nette Menschen, die ohne Umstände schnell mal einen Kanister von zu Hause holen, Chapeaux und Merci!

Aprilia Tuono 1100 Factory

Die weiteren Erfahrungen haben wir trotzdem gerne in weiterem Geläuf und auf Asphalt gesammelt, Wein-, Wald- und Mühlviertel bieten sich von Wien aus als Testgelände an, ein flotter Tagesausflug nach den beiden Zwettls – letzteres an der Rodl – ist mit der Tuono keine Hexerei. dafür ein geradezu teuflisches Vergnügen. Bis nach Krems heisst´s sich erst mal zusammenzureißen, in den Ballungsräumen verhindert organisierte Überwachung allzu unbeschwertes ausnutzen der Möglichkeiten, doch wenn man sich erst mal hinter dem Steigenberger Hotel Krems in die L7085 verbissen hat, fallen die Hemmungen gutbürgerlicher Erziehung.

Aprilia Factory

Man will ja nicht gleich als Rowdy identifiziert werden, zurückhaltende Fahrweise im besiedelten Gebiet Gebot der Stunde, sonst gibt´s bald nur noch E-Bikes. Doch hier im Outback ist noch Platz für Spaß und Freude, keine fünf Kilometer nördlich des touristisch intensiv genutzten Donauufers verlieren sich die wenigen Häuser in der dreidimensionalen Landschaft. Will heißen: die Serpentinen rauf nach Egelsee können sportlich angegangen werden, der Blipper produziert am Ortsanfang untertäniges Grollen, nach passieren des Dorfs wir die Beschleunigung mal etwas brachialer ausgekostet. Zack-zack-zack, zwei, drei Gänge weggemacht, anbremsen, blitzartig runterschalten, umlegen, das Alles läuft wie selbstverständlich ab, mühelos steigen Rhythmus und Geschwindigkeit, bald spürt man die Bremskraft in den Armen, das Bankdrücken im Gym kann man sich bald sparen. Und selbst übermutigste Überholmanöver werden von den bemitleidenswerten Menschen in ihren Blechkäfigen seltsamer Weise nicht mit zornigem Hupen kommentiert, ob das auch am sympathischen auftritt der Aprilia liegt? Eher nicht, im Laufe der Zeit bin ich nämlich draufgekommen, dass das wohl nur dem Tiroler Kennzeichen zu verdanken ist, ein großes „W“ am Taferl und alle hupen wieder. Warum müssen wir Wiener eigentlich immer als Sündenböcke herhalten. Na ja, wahrscheinlich ist´s der Neid, ich kann´s verstehen…

Aprilia Factory

Und völlig natürlich stellt sich auch eine Körperbetonte Fahrweise ein, auch wenn ich überzeugt bin, dass Knieschleifer im öffentlichen Verkehr deplaciert wirken, zwingt einen die moderne Fahrwerksgeometrie der Tuono in den Hang-Off, man muss den Körperschwerpunkt einfach nach innen-unten bringen, um die Möglichkeiten so einer Maschine auszunutzen. Recht schnell hat man auch die Exaktheit intus, mit welcher die Aprilia Tuono geplante Linien umsetzt, der angepeilte Scheitelpunkt wird auch milimetergenau erwischt, dass die Reflektoren an den Leitschienen plötzlich in Augenhöhe vorbeizischen, nimmt man mit Genugtuung zur Kenntnis. Und freut sich über die eigenen Fahrkünste – bis man die echten Könner am Spielberg sieht. Welche die Grenzen natürlich ausreizen, mitunter darüber hinaus gehen, weite Kiesbette und keine harten Hindernisse weit und breit machen´s möglich.

Aprilia Factory

Keine Option auf der Landstraße, also ist Disziplin angesagt. Auch wenn die Bremsen der Tuono so gut funktionieren wie´s nur geht und auch Fahrwerk und  Antrieb jeder Situation gewachsen scheinen, kann halt nicht einmal die Aprilia den korrekten Bremspunkt ermitteln, wenigstens das müssen immer noch wir Menschen erledigen. Immerhin, so darf man sich – zumindest – mitverantwortlich fühlen, wenn man mal wieder eine neue persönliche Bestzeit auf der Hausstrecke aufgestellt hat. Wobei man sich bei genauerem Hinsehen durchaus die Frage stellen könnte, wie verantwortlich oder sinnvoll die erreichbaren Geschwindigkeiten sind. Was wir aber hier sicher nicht tun wollen, schließlich wird auch die Berechtigung völlig überdimensionierter Diesel-Rennsport-Geländewagen im Alltagsverkehr gemeinhin nicht wirklich in Frage gestellt, selbst wenn sie nur von Mutti genutzt werden, um das Bambino in die Schule zu chauffieren und hernach das Fitnesscenter aufzusuchen. Das brauchen wir alles nicht mehr, mitnehmen kann man auf der Aprilia Tuono Factory höchstens eingefleischte Masochisten und für unseren Muskelaufbau sorgt sie auch. Spätestens wenn wir die Motorleistung schon ausgereizt haben und nun die restlichen Meter auf der Bremse gewinnen wollen.

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