Sei einmal ganz ehrlich: Fühlst du dich in jeder Situation am Motorrad sicher? Passt jeder Radius wie bei Valentino Rossi? Ausweichmanöver ist dein zweiter Vorname?
Ich muss ehrlicherweise verneinen. Wie in jedem Sport besteht Entwicklungspotential und wie heißt es so schön: „Leben heißt lernen“! Etwas, was sich vorallem Motorradfahrer, insbesondere auch die Hochrisikogruppe der 45-55 jährigen hinter die Ohren schreiben sollte! Und genau da falle ich hinein.
Mein Führerschein stammt aus der Hochblüte des New-Wave. 1985 gab es keine Fahrtechnikausbildung, wer den Gasgriff drehen konnte, war fröhlicher Besitzer eines rosa A-Scheins, und an die Helmpficht hatten wir uns gerade erst gewöhnt.
Meine Karriere als Giacomo Agostini begann dann auf einer weißen Vespa P200 E und endete alsbald mit einem doppelten Rittberger über ein Auto am Gürtel. Der Autofahrer hatte offensichlich seine Stop-Tafel missinterpretiert. Aber nach rund 20 Erdumrundungen in der Blechbüchse hatte mich das Fieber wieder. Freiheit, der Duft des 2-Takters, die Leichtigkeit und Einfachheit des Lebens: Vespa.
Neben meiner tuckernden Liebe aus Italien mischten sich immer neue Zweiräder in mein Leben. Roller und schließlich auch Motoräder, schwerer und schneller, anspruchsvoll im Handling und im Vollzug der Geschwindigkeit. Und nachdem ich nicht genug bekommen kann, heißt es auch wieder lernen.
Nichts bietet sich hier besser an als ein Fahrtechniktraining der gelben Engel, der ÖAMTC Fahrtechnik Zentren . Aber ich war nervös. Autotraining ist eine Sache. Nach so vielen Kilometern und diversen bereits durchgeführten Trainings keine große Herausforderung, unterstützt durch das Sicherheitsgefühl der Karosserie und diverse Assistenzsysteme. Aber 200kg Italienerstahl am Limit?
Zahltag! Statt der Bermuda Protektoren, Professionelles ist ein Muss, denn in meinen Gedanken küsse ich schon Teesdorfer Asphalt. Der Espresso mit den 8 eintrudelnden Trainingsgenossen lässt auf harte Konkurrenz schließen, von der 990 KTM über eine 250er Vespa GTS zur Harley V-Rod ist alles vertreten, was Rang und Namen hat. Mein Training heißt „Active“ und dient offensichtlich zur Aktivierung der 40-50 Jährigen Biker, die sich eingefunden haben. Unter uns sind nur 2 Junge, der eine knapp nach dem Führerschein, der andere nach einen schweren Abflug aus einer Kurve!
Aber langsam entspannt sich der wilde Haufen. Stefan, der Trainer mit 43 Jahren Motorrad-Erfahrung, gibt Sicherheit und die Erzählungen der Teilnehmer lassen darauf schließen, dass nicht nur Giacomos Österreichs Straßen bevölkern. Die Theoriestunde zu Kreiselkräften, Drücken und Legen wird alsbald zur Praxisprüfung, der Theoriesaal mit dem kleinen Rundkurs getauscht. Stefan sieht sich die Kurventechnik an, holt einzelne Fahrer heraus, erklärt und lehrt.
Und ich werde immer beweglicher, wuchte, stemme, drücke und lege die Moto Guzzi V9 Bobber, wie ich es nie für möglich gehalten habe. Die Guzzi schrumpft von Runde zu Runde, und die Fußrasten beginnen sich mit dem Asphalt anzufreunden, kratzen, kreischen, so dass am Ende des Tages die Distanznippel komplett abgeschliffen sind. Und das war ich!
Die Schräglagenfreiheit der Bobber ist zwar im Vergleich zu anderen Bikes relativ gering, aber die Beweglichkeit überrascht. Ausschlaggebend ist der sehr niedrige Schwerpunkt und die offensichlich sehr gute Gewichtsverteilung. Auch das wirklich fette Vorderrad der Dimension 130/90 16″, das vielen Bikes gut als Hinterrad stehen würde, gibt mir Vertrauen und enormen Grip. So sehr, das der Angstrand am Ende des Tages mehr oder minder eliminiert ist!
Der Vormittag lehrt uns Linienführung und massiv verbesserte Kurventechnik, in einem weiteren Schritt auch Blicktechnik. Denn dorthin, wo du hinsiehst, fährt auch der Bock. Und sei es Schotter am Fahrbahnrand!
Lunchtime. Die Recken sind schon mutiger und relaxter. Smalltalk und die wildesten Geschichten aus dem Fundus. Wir machen uns Mut, denn der Nachmittag ist dem Bremsen und Ausweichen gewidtmet.
Nach einer weiteren theoretischen Einweisung zur korrekten Bremstechnik (2 Finger!), geht es auf die Bremsstrecke. Die Vollbremsung wir aus 70km/h vollzogen, an die wir uns langsam herantasten. Wichtigste Erkenntnis: Eine technisch saubere Bremsung rettet dir den Kopf! Progressiv ins Vordereisen, hinten nur sanft mitbremsen. Auf der Guzzi eine ausgesprochen leichte Übung, wieder bedingt durch den tiefen Schwerpunkt und die öffensichlich überragende vordere 320er Scheibe. Die Maschine hebt sich hinten nicht, die Fuhre bremst sich stoisch bei 18m ein. Weltrekord!
Wie relevant das Motorrad-Konzept beim Bremsen ist, erlebt der mutige KTM 990er Reiter, der mit dem Hinterrad neue Höchstmarken produziert, ebenso wie dramatisch lange Bremswege. Grund hierfür ist die Gewichtsbalance des Stelzensportlers, welche das Hinterrad abheben lässt. Noch ein wenig mehr Druck auf der Vorderradbremse und der Reiter hätte fliegend Wien erreicht!
Nur was machen, wenn Bremsen nicht reicht? Genau, ausweichen! Und genau das beschäftigt uns den Rest des Nachmittags. Bremsen, Kuppeln, Lösen und Swingen. Immer wieder, immer schneller, immer wilder!
Jetzt bin ich zwar immer noch nicht Giacomo Agostini, habe aber in nur einem Tag wesentliches gelernt, um mich leichter und vorallem sicherer auf Motorrädern zu bewegen. Und so ganz nebenbei hat der Tag sehr viel Spaß gemacht!
Ich kann das Fahrtechnik Training des ÖAMTC jedem Fahrer nur wärmstens ans Herz legen! Selten waren EUR 210.- besser investiert!
P.S: Das Aufwachen am nächsten Morgen war kennzeichnet durch einen Ganzkörper-Muskelkater der Extraklasse! Aktiviert….